Zusammenfassung
Die parenterale Aminophenazonbehandlung mit den Präparaten Anoixol und Capysal kann
nach unseren Erfahrungen nicht die Indikationen beanspruchen, die ihr bisher von anderen
Autoren zugebilligt worden sind.
Zwar hat sich das Anoixol bei der Gruppe der rheumatischen Erkrankungen und bei einzelnen
neuritischen Syndromen sehr bewährt und sich — soweit solche Vergleiche möglich sind
— der peroralen Pyramidonzufuhr als erheblich überlegen erwiesen. Dabei ist die analgetische
Wirkung in der Mehrzahl der Fälle weitaus stärker, als sie dem Pyramidon im allgemeinen
zukommt. Bei diesen Gruppen von Erkrankungen haben wir zwar die von Döring und Riebeling
beschriebenen schnellen Erfolge nur relativ selten, dagegen auch bei älteren, vergeblich
behandelten oder chronisch gewordenen Fällen überzeugende Besserung beobachtet. Vielleicht
ist die nachhaltige Schmerzbekämpfung an diesen Heilungen maßgebend beteiligt — eine
Vorstellung, die ja auch der Impletolkur zugrundeliegt. Eindrucksmäßig sind die besten
Erfolge dort zu verzeichnen, wo der analgetische Effekt sich bald einstellt.
Im Gegensatz zu diesen Indikationen scheidet nach unseren Erfahrungen die Migräne
aus dem Anwendungsbereich des Anoixols vollkommen aus. Die parenterale Pyramidonbehandlung
leistet hier entschieden weniger als andere erprobte Behandlungsmethoden; ja es gelingt
nach unserem Material nur selten, auch nur den Anfall einigermaßen zu dämpfen oder
gar zu beenden.
Hinsichtlich der übrigen Anwendungsbereiche bei anderen neurologischen Erkrankungen
(etwa bei multiplen Sklerosen und postenzephalitischen Parkinsonsyndromen) möchten
wir uns vorläufig mit großer Zurückhaltung äußern. Einzelne überraschende Wendungen
stationärer Krankheitsbilder stehen totalen Versagern gegenüber. Die Behauptungen
über wesentliche Besserung stehen häufig im Gegensatz zu den objektiv unveränderten
Symptomen. Offenbar führt die Euphorisierung durch die Anoixolbehandlung zuweilen
eine Überschätzung des Erfolges beim Patienten herbei. Wir kennen diesen Vorgang ja
auch von anderen Drogen, denen diese glückliche Eigenschaft des Stimmungswandels innewohnt.
Deswegen müssen auch die offenkundigen Wirkungen auf endogene Depressionen zunächst
mit Zurückhaltung berichtet werden. Der euphorische Stimmungsumschlag erfolgt hier
häufig sofort, hält aber nur Stunden an, wenn nicht neue Injektionen folgen. Ebenso
wie beim analgetischen Effekt erhebt sich auch hier die theoretische Frage, ob die
fortgesetzte Euphorisierung nicht zuletzt doch der schnelleren Ausheilung der Depression
zugute kommt. Bei allen unseren Depressionen hat es sich um leichtere Fälle gehandelt.
Es bleibt abzuwarten, ob schwere endogene Depressionen in gleicher Weise ansprechen.
Die Verträglichkeit des Mittels muß im Einzelfall stets neu erprobt werden. Überraschungen
sind hier nicht ganz selten. Älteres und verfärbtes Anoixol wird offenbar schlecht
vertragen.
Anmerkung bei der Korrektur: Seit dem Abschluß dieser Arbeit hat sich die Zahl der
behandelten Kranken verdreifacht, die Zahl der Injektionen mehr als vervierfacht.
Die herausgearbeiteten Indikationen und Einschränkungen haben sich dabei in vollem
Umfange bestätigt; nur die Sonderstellung der mit Hypercholesterinämie verlaufenden
Depressionen erscheint nicht durchgängig gesichert.